Insektenfreundliche Modellgemeinde

                                                               

                                                                  Insektensterben in Deutschland - ein negativer Trend setzt sich fort!

 

Mehr als 75 Prozent der Gesamtmasse an Fluginsekten sind aus Teilen Deutschlands verschwunden. Alle bisherigen Datenreihen belegen einen dramatischen Rückgang der Populationsdichte unserer Insekten. Bei den Schmetterlingen gehen vor allem die Spezialisten verloren. Hierzu zählen Tagfalter, deren Larven auf bestimmte Futterpflanzen angewiesen sind. Unter den Wildbienen zeigt knapp die Hälfte der 561 Arten Rückgänge. Neben dem Verlust der Habitate könnte die weite Verbreitung der hochwirksamen Neonicotinoide aus der Gruppe der Insektizide beigetragen haben, dass die Wildbienen so stark zurückgegangen sind. Aber auch andere Insektengruppen sind dezimiert. Zikadenpopulationen auf Trockenrasen in Ostdeutschland nahmen über 40 bis 60 Jahre um 54 Prozent ab. Im Feuchtgrünland in Niedersachsen betrugen die Verluste sogar 78 Prozent.

Insgesamt zeigen die Untersuchungen in Deutschland, dass die Verluste nicht regional begrenzt, sondern bundesweit zu bemerken sind. Betroffen sind Spezies mit unterschiedlichsten Lebensweisen und Lebensräumen. Die mit Abstand höchsten Insektenverluste weisen in unseren Breiten die offenen Regionen der Landschaft auf. Hierzu zählen Ackerflure und Wiesen.

Im April 2019 hat die Gemeinde Pellworm in einem Antrag an den Kreis Nordfriesland deutlich gemacht, dass Artenvielfalt und Naturnähe auf öffentlichem Grün entwickelt und bewahrt werden sollen. In obigem Antrag auf Bezuschussung von Entwicklungs- und Beratungskosten für das Projekt "Modellgemeinde: Insektenfreundliche Gemeinde - Artenreiche Insel Pellworm" hat die Gemeinde dieses Vorhaben näher erläutert. Der Kreis Nordfriesland hat den Antrag positiv entschieden und die Gemeinde sowohl bei der Erarbeitung eines Entwicklungskonzeptes inklusive Umsetzungsberatung als auch bei der Umsetzung der Umstellung der gemeindlichen Flächen finanziell voll unterstützt.

 

Daraus entstanden ist u.a. ein Grünpflege-Handbuch für die "Insektenfreundliche Modellgemeinde Pellworm".

Grünpflege-Handbuch:

Die Bestandsaufnahme der gemeindeeigenen Flächen erfolgte im Juli 2019 in Begleitung des Pellwormer Bauhofes, des Projektmanagements sowie des DVL (Dt. Verband für Landschaftspflege). Im Vordergrund standen ökologische Standortmerkmale, die Einschätzung der vorhandenen Vegetation und die aktuelle Nutzung und Funktion der Flächen. Ebenso wurde die Ausstattung des örtlichen Bauhofes aufgenommen. Aus den vorhandenen Informationen ist ein Entwicklungskonzept für die Gemeinde Pellworm entstanden. Zur konkreten Umsetzung des Konzeptes wurde ein Handbuch erstellt, in dem u.a. für alle relevanten Flächen ein Steckbrief mit folgenden Inhalten angelegt wurde:

  • Eckdaten der Fläche
  • Angaben zum aktuellen Bestand
  • Entwicklungsziele
  • Pflegemaßnahmen
  • Beratung, Monitorin, Evaluation

Als Modellgemeinde zeichnet sich Pellworm sowohl durch den abgegrenzten und typischen Marsch-Naturraum als auch durch das Engagement seitens der Gemeinde und des Bauhofs vor Ort aus. Darüber hinaus ist das Interesse vorhanden, das Thema "Insektenfreundlichkeit" weitergehend in unterschiedlichen Bereichen zu verankern und zu vernetzen. Aus diesem Interesse heraus ist die Teilnahme am Wettbewerb "Naturstadt - Kommunen schaffen Vielfalt" entstanden, so dass die erfolgreiche Teilnahme Synergien auf der Insel und in der Gemeinde Pellworm schafft.

Download
2020_02_06_GrünpflegeHandbuch_UAG.pdf
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Ansprechpartner:innen:

 

Projektmanagement Gemeinde Pellworm

projektmanagement@gemeinde-pellworm.de

 

Umwelt- und Bauausschuss Gemeinde Pellworm

marc.lucht@gemeinde-pellworm.de

 

Bauhof

bauhof@pellworm.de

 

Biosphäre Pellworm Silke Wissel

silke.wissel@lkn.landsh.de

 

DVL Wiebke Schönberg

w.schoenberg@dvl.org


Entwicklungskonzept und Grünpflege-Handbuch: UAG - Umweltplanung und -audit GmbH, Burgstrasse 4, 24103 Kiel, info@uag-kiel.de

Gestaltung und Öffentlichkeitsarbeit: NaturErleben, Burgstrasse 4, 24103 Kiel, naturerleben@aol.com

Bauhof:

Zur nachhaltigen Grünflächenpflege gehört u.a. das Mähen. In den meisten Gemeinden werden Mulchmäher eingesetzt, die mittlerweile hoch effektiv arbeiten. Unter dem Begriff Mulchen versteht man eine Mahd, bei der das Mähgut nicht von der Fläche entfernt wird, da es an Ort und Stelle zerkleinert und auf der Fläche verteilt wird. Die Gefahren des Mulchens werden oft unterschätzt. Durch die hohe Geschwindigkeit der Maschinen haben seltene Blumen, Kleintiere und Insekten keine Chance. Eidechsen, Frösche, Schmetterlinge, Hummeln und sogar kleine Säugetiere – was unter den Mulchmäher kommt, springt im wahrsten Sinne des Wortes über die Klinge. Grünflächen sollten von daher nicht gemulcht, sondern gemäht und das Mähgut abtransportiert und kompostiert werden. Im Moment befindet sich die Gemeinde allerdings noch in einer 5-jährigen Versuchsphase, in der die Gemeindestraßen unterschiedlich bewirtschaftet werden. An einigen Straßenabschnitten wird gemäht und das Mähgut wird abgefahren, an anderen wird gemäht und nicht abgefahren, an anderen wiederum wird gemulcht. Nach der Versuchsphase sollen die Unterschiede fachgerecht beurteilt werden.

Im Juni 2020 hat der Bauhof der Gemeinde Pellworm einen neuen, insektenfreundlichen Auslege- und Böschungsmäher in Betrieb genommen. Es handelt sich um ein Anbaugerät der Firma Green Tec (Scorpion 430/Messerbalken S165-240). Weitere Informationen findet man auf der Homepage der Firma, wo bereits ein kleines Video (von Pellworm) zu finden ist (https://greentec.eu/de/hydraulischer-maehbalken-fuer-traktor-s-165-240).

Maßnahmen zur Erhöhung der Arten- und Strukturvielfalt:

 

     1. Einsaat bunter Wiesen und Säume

  • Saatgut - Saatgutmischungen für Wiesen mit einem höheren Anteil an Gräsern, Saatgutmischungen für Wegränder und Säume (Verwendung von Regio-Saat - Saatgut gebietsheimischer Herkunft)
  • Pflege von Wiesen und Säumen - Schröpfschnitt, Pflegeschnitte im Jahresverlauf (dauerhafte Wiesen bieten den Insekten neben Nahrung auch Rückzugs- und Entwicklungsraum wie z.B. Eiablage, Verpuppung, Raupenstadium usw.)

     2. Entwicklung von feuchten Wiesen

  • Aufstauung von Gräben, Anlage von Blänken und Grüppen - Erhöhung des Wasserstandes stellt einen weiteren wichtigen Baustein im Mosaik der Insektenlebensräume dar (Wasser- und Tauchinsekten)
  • Auflagen in Pachtverträge (gemeindeeigene, landwirtschaftliche Flächen)

     3. Verwendung von Wildstauden

  • Pflanzung von Wildstauden - diese sind nicht züchterisch weiter entwickelt und gut an heimische Umweltbedinungen angepasst, pflegeleicht und robust (für Insekten besonders wertvoll)

     4. Pflanzung von heimischen Gehölzen und Obstbäumen

  • Gehölze, Obstbäume, Streuobstwiese - unter Berücksichtigung der naturraumspezifischen Besonderheiten des Naturraumes Marsch nur punktuell einsetzbar (Hochstamm-Obstgehölze - in deren Holz finden Inseten und Vögel später besonders viel Rückzugsraum und Nahrung)

 


Erläuterung:

links oben - Fettwiese im zweiten Jahr

mittig oben - Keimlinge im ersten Frühjahr nach der Ansaat (Rote Lichtnelke, Schafgarbe, Aufgeblasenes Leimkraut, Labkraut, Flockenblume)

links unten - blühender Straßensaum

mittig unten - Blütenvielfalt

rechts - Gräservielfalt am Gemeinde-Büro

Copyright:

oben links und mittig:  Wiebke Schönberg/DVL

unten links:  Silke Wissel/LKN.SH

unten mittig:  Sören Lang

rechts:  Silke Wissel/LKN.SH